Der Fachbereich Ethik
„Was ist Ethik?“ Mit dieser Frage kommen die neuen Siebtklässler*innen meist in die erste Ethikstunde gestürmt. Klar, ein neues Fach, und dann noch so ein komischer Name. Deshalb ist die Frage, was Ethik ist, meist auch gleich das Thema der ersten Unterrichtsstunde.
Einerseits ist die Antwort ganz einfach: In Ethik geht es darum, wie wir handeln, warum wir so handeln und ob dieses Handeln eigentlich gut oder schlecht ist. Und es geht darum, was ein gutes Leben ist und wie man so ein gutes Leben erreichen kann. Ethik „machen“ wir also vermutlich alle jeden Tag.
Und jetzt etwas fachwissenschaftler formuliert: Die Ethik (abgeleitet vom altgriechischen Wort „ēthikós“ für „Brauch“, „Gewohnheit“ oder „Sitte“) ist ein Teilgebiet der Philosophie, manchmal auch als Moralphilosphie bezeichnet. Das heißt im Ethikunterricht begegnen uns viele Philosoph*innen. Ob Immanuel Kant, David Hume, Martha Nussbaum, Karl Marx oder Aristoteles, sie alle sind große Denker*innen, haben sich oft mit den gleichen existentiellen Fragen beschäftigt, die uns heute umtreiben. Ihre Antworten auf diese Fragen wollen wir verstehen und diskutieren, um uns selbst eine eigene Meinung bilden zu können.
Jetzt denken manche vielleicht: Die eigene Meinung? Die kann man doch gar nicht bewerten! Doch, man kann. Natürlich nicht die eigene Meinung an sich, aber deren Begründung. Schließlich wollen wir ja Andere davon überzeugen, dass unsere Meinung die richtige ist. Und dazu braucht es Argumente und Beispiele, und die sollte man nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich darlegen können. Tatsächlich kann Ethik manchmal richtig schwer sein. Natürlich, warum sollten ausgerechnet wir es heute einfach haben, wenn sich manche Philosoph*innen bereits in der Antike den Kopf über ein bestimmtes ethisches Problem zerbrochen haben?
Was sind das für Probleme? Zum Beispiel diese: Welche Rollen spiele ich im Alltag? Warum soll ich moralisch handeln? Für alle das Gleiche – ist das gerecht? Was ist ein guter Freund? Kann man Unrecht wiedergutmachen? Was ist schön und was ist hässlich? Machen soziale Medien glücklich? Welchen Wert hat die Natur? Verdient jeder mit seiner Arbeit, was er verdient? Wie sieht eine ideale Gesellschaft aus? Gibt es Gott? Was ist der Sinn des Lebens?
Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen wie diesen werden laut Rahmenlehrplan vier Kompetenzen geschult: wahrnehmen und deuten, Perspektiven einnehmen, argumentieren und urteilen, sich im Dialog verständigen. Sie alle dienen einer übergeordneten Kompetenz: ethisch reflektieren und sich im Leben orientieren. Und genau dieses Sich-im-Leben-orientieren-Können ist etwas, das wir in einer globalisierten, schnelllebigen, sich stets wandelnden und nicht selten von Konflikten gebeutelten Welt brauchen.
In Berlin ist Ethik seit dem Schuljahr 2006/07 ein Pflichtfach. Es wird von Jahrgangsstufe 7 bis 10 an allen Schulen unterrichtet. Und das hat seinen Grund: Es ermöglicht, dass alle Schüler*innen einen gemeinsamen Kanon an Werten und Normen kennenlernen und verhandeln und damit eine gute Beziehung zu Anderen und letztlich auch mit sich selbst führen können. Es ist ein Raum, in dem die Schüler*innen selbst zu Philosoph*innen werden, denn davon geht die Fachdidatik aus: Philosophieren kann jede*r.
An der Georg-von-Giesche-Schule wird das Fach Ethik im ersten Schulhalbjahr mit zwei, im zweiten mit einer Stunde pro Woche erteilt. Es ist übrigens auch ein beliebtes Prüfungsfach im MSA, und zwar sowohl in den ISS- als auch in den SESB-Klassen. Im Schnitt legen jedes Jahr fünf bis acht Prüfungsgruppen nach vier Jahren Ethikunterricht ihre Präsentationsprüfung in diesem so vielfältigen wie wichtigen Fach ab.
M. Thiele
Vorsitzender der Fachkonferenz Ethik, Dezember 2023